Alpin Notruf: 140

Ihr wolltet schon immer mal wissen, wie so ein Einsatz bei der Bergrettung abläuft?
Dafür hat einer unserer Bergretter einen Einsatz aus seiner Sicht für euch aufbereitet!

Ein schöner Sonntagnachmittag Ende November im südlichen Niederösterreich. Es herrscht klassisches Novemberwetter mit einer Inversionswetterlage. Am Berg wunderschön, angenehm warm und Sonnenschein, im Tal nebelig und frostig.
Da das berufsbegleitende Studium in den letzten Wochen etwas zu kurz gekommen ist und Oma heute Geburtstag hat, habe ich mich entschieden nicht auf den Berg zu gehen. Manchmal halten einen die Pflichten leider von den schönen Dingen im Leben ab – und gebackene Champignons bei Oma sind auch ein Grund mal zu Hause zu bleiben.

Kurz vor 14 Uhr – gerade über einem Essay brütend – läutet das Handy.
„Hahütitit“ – so oder so ähnlich klingt der Alarmierungston der Notrufapp. „Alpinunfall-Personenbergung (ohne Verletzung) – Danielsteig (Bereich Gamseck). 2 Personen verstiegen und kommen nicht mehr weiter“.

Aufgrund der mittlerweile vorhandenen Erfahrung muss man nicht Sherlock Holmes sein, um zu wissen, dass eine Taubergung durch einen Hubschrauber möglicherweise nicht machbar sein wird. Also kurz noch überlegen, wann der Hund das letzte Mal draußen war und ab ins Auto. Das notwendige Material ist mittlerweile ohnehin 24/7 im gepackt, da man nie weiß, wann das Handy läutet und BergsteigerInnen unsere Hilfe brauchen.

Während der Fahrt wird der Einsatz von einem unserer Einsatzleiter der Ortsstelle Reichenau übernommen und die Abklärung läuft. Noch am Weg in die Einsatzzentrale kommt die Information „Mannschaft mit Alpinausrüstung in die Zentrale kommen“, was sich ja gut trifft, weil ich ohnehin schon am Weg bin. Da die Personen unverletzt sind werden natürlich alle verkehrsrechtlichen Vorschriften auf Punkt und Beistrich eingehalten und knapp 25 Minuten nach Alarmierung schlage ich in der Einsatzzentrale auf. FFP-2 Maske rauf (trotz vorhandener 3t-Impfung und Test vom Vormittag eine mittlerweile normale Maßnahme) und ich melde mich bei der Einsatzleitung an. Kurz darauf folgt bereits die aktuelle Information zum Einsatz sowie die Gruppeneinteilung. Auch einer „unserer“ Alpinpolizisten aus Reichenau ist mittlerweile bei uns eingetroffen und wird uns beim Einsatz unterstützen.

Trotz Tiefnebel in Wien ist die Libelle (Hubschrauber des BMI) bereits am Weg zum Einsatzort. Die Hoffnung, dass der Einsatz doch schneller als gedacht gelöst werden kann steigt. Dennoch machen auch wir uns auf den Weg nach Hinternaßwald, um bei Bedarf eine bodengebundene Rettung einleiten zu können. Zirka am halben Weg durchs Höllental kommt dann die ernüchternde Information, dass die vermissten Personen zwar gesichtet wurden, aber aufgrund der Windverhältnisse eine Taubergung nicht möglich ist. Da es mittlerweile knapp vor 15 Uhr ist und die Dunkelheit eine Bergung schwieriger und gefährlicher macht, ist es an der Zeit das Blaulicht zu aktivieren. Mit etwas mehr Tempo geht es also weiter zum Zwischenlandeplatz. Dort angekommen kurzes Briefing mit dem Flight Operator der Polizei. Der Hubschrauber kann uns zumindest auf das Plateau bringen, damit uns der doch lange Aufstieg erspart bleibt. Ich gehe zwar gerne selber rauf, aber in diesem Fall ist ein Shuttle per Heli auch mir lieber.

Da ich mit dem Alpinpolizisten mitgefahren und knapp vor der restlichen Einsatzmannschaft vor Ort eingetroffen bin wurde entschieden, dass wir beide als erstes in die Nähe des Einsatzortes geflogen werden. In einem zweiten Hub sollen weitere BergretterInnen nach oben transportiert werden.

Beim Flug zeigt uns der Flight Operator die genaue Position der beiden Personen, welche durch einen orangen Biwaksack sehr gut im schroffigen Gelände erkennbar sind. Schon beim Überflug kommt mir der Gedanke „Naja leiwand wird das in dem Bruchhaufen nicht.“.

Etwas durchgeschüttelt, da die Windverhältnisse alles andere als super sind, kommen wir oben an und der Hubschrauber fliegt gleich wieder los um die zweite Mannschaft zu holen. Da es nicht mehr lange dauert bis die Sonne untergeht wird es für uns nun zeitkritisch und es heißt schnell sein, aber dennoch so sicher wie möglich arbeiten. Da wir leider nicht allzu nahe am Einsatzort abgesetzt werden konnten, müssen wir uns zuerst durch die Latschen „kämpfen“ und dann den genauen Punkt der beiden Personen lokalisieren. Gar nicht so einfach, wenn sie zirka 70 Meter unter der Gipfelwand sind. Zirka 10 Minuten nach Ankunft am Raxplateau haben wir die Wanderer entdeckt. Kontaktaufnahme mittels zurufen hergestellt und die Info „Bitte vor Ort warten bis wir bei euch sind!“ transportiert.

Nun wird die Sache spannend. Wie kommen wir zu den beiden, ohne dass wir sie oder uns selbst gefährden? Trotz Seil, Sicherungsmaterial, Helm, etc. ist das in diesem Gelände ein nicht allzu leichtes Unterfangen. Kurze Beratschlagung, wo wir den Versuch des Abstiegs am besten anlegen. Der Standplatz an einer dicken Latsche bildet zumindest einen ersten guten Sicherungspunkt. Mein Bruder hat mir unten noch zwei „Friends“ und einige Klemmkeile – beides mobile Sicherungsmittel – mitgegeben, da er erst mit dem zweiten Transport nachkommt. Vielleicht kann ich sie ja brauchen, so der Gedanke.
Also einbinden ins Seil und es geht über sehr brüchiges Gelände schräg in eine Schlucht. Als Zwischensicherung bietet sich ein Felskopf an, an welchem ich eine Bandschlinge drüberlege – muss ja auch nur nach unten halten. Solche Sicherungspunkte sind im Alpinklettern ganz normal und halten in der Regel auch was sie sollten.
Über zwei Kletterpassagen mit fragilen Felsen nach unten kommt schon die Info von oben „10 Meter Seil hast noch!“ was soviel heißt wie „Such dir einen Standplatz!“. Wie bestellt und nicht abgeholt steht zirka 5 Meter unter mir ein großer Felsblock angelehnt an der Hauptwand. Da auch die Luft aus der anderen Seite durchscheint, weiß ich wo mein Standplatz sein wird. Also wird dort kurzerhand die natürliche Sanduhr genutzt, um eine Blockverankerung aufzubauen. Neuerliche Kontaktaufnahme mit den beiden Personen, welche noch zirka 30 Meter rechts und 10 Meter unter mir sind. Während mein Kletterpartner nachkommt, kann ich bereits für die letzte Abkletterstelle herrichten. Schon der Blick nach unten zeigt brüchiges, wenig lohnendes Klettergelände im 1-2 Schwierigkeitsgrad.

Kaum angekommen übernimmt der Alpinpolizist wieder den Stand und ich darf die letzte Kletterpassage nach unten abklettern. „Bin schon lohnendere Dinge geklettert“, lautet ein kurzer Gedanke zu diesem Abstieg. Sicher unten angekommen führt der Weg gleich zu den beiden Personen. Beiden geht es Gott sei Dank gut – ihnen ist zwar kalt, aber sonst sind beide in einem sehr guten Allgemeinzustand. Dies wird noch wichtig werden im Aufstieg.

Zwei weitere Bergretter kommen zeitgleich über uns an und wir sprechen kurz das weitere Vorgehen ab. Einer der beiden versucht eine bessere Aufstiegsvariante ausfindig zu machen, was aber sehr schnell wieder revidiert werden muss, da ich ihn als Unterstützung am mittleren Standplatz benötige. Da beide Personen weder Helm noch Klettergurt mithaben, muss etwas improvisiert werden, bis wir den Klettergurt und Helm bei uns herunten haben. Normalerweise würden wir nun die paar Minuten warten bis alles da ist, da jedoch schon die Sonne hinter mir untergeht müssen wir schneller agieren. Der ersten Person wird ein provisorischer Klettergurt angelegt und wir beginnen den gesicherten Aufstieg zu unserem ersten Standplatz. Auch hier ist das Glück auf unserer Seite, da die Person sehr trittsicher ist und ohne Probleme die erste Kletterstelle hinter sich lässt. Am Standplatz angekommen ist mein Bruder bereits mit dem Klettergurt da und ich kann die Person übergeben. Den zweiten Klettergurt darf ich einpacken und es geht das zweite Mal nach unten – jetzt weiß ich ja schon, welche Steine ich lieber unberührt lasse.

Während ich die zweite Person auf den Aufstieg vorbereite, steigt mein Bruder mit der ersten Person am Seilgeländer nach oben. Zu diesem Zeitpunkt sind noch 20 Minuten Zeit, um den Hubschrauber zu erreichen. Danach muss er aufgrund der einbrechenden Dunkelheit den Einsatz abbrechen. „Schaffen wir es in 20 Minuten?“, ist von oben zu hören. „Leider nein, wir gehen wohl zu Fuß“ ist von unten die Antwort. Mit der zweiten Person bis nach oben und dann noch die Wegstrecke zum Landeplatz ist leider nicht machbar.

Auch der zweiten Person wird nun der Klettergurt und ein Helm angelegt. Sobald die Personen über uns weg sind, und damit die Steinschlaggefahr etwas eingedämmt, können wir die untere Kletterpassage hinter uns lassen. Der Himmel färbt sich zeitgleich orange und zeigt sich noch einmal von seiner schönsten Seite. Während wir weiter am Seilgeländer nach oben steigen, baut der Alpinpolizist noch schnell alles ab und folgt uns.

Im letzten Licht erreichen alle Personen sicher und unverletzt das Plateau. Jetzt wird noch kurz das Material in den Rucksäcken verstaut und es beginnt der Abstieg. Da beide Personen wirklich fit sind, wird keine Zeit liegen gelassen und der Abstieg erfolgt ohne Probleme. Es geht durch das Taupental zum Karl-Ludwig-Haus und anschließend über den Schlangenweg nach unten. Die Bergretter werden dabei noch von einer sternenklaren Nacht und bestem Mondlicht belohnt. Zurück in der Einsatzzentrale gibt es eine kurze Nachbesprechung, ein kaltes Getränk und Dank der Einsatzleitung noch eine Pizza für uns. Knapp nach halb 9 komme ich heim und darf noch eine kleine Runde mit meinem Hund anhängen.

Alles in allem ein fordernder, aber durchwegs interessanter Einsatz, bei welchem wir auch die eine oder andere Gelegenheit für einen Scherz nutzen konnten. Das ist Zusammenarbeit, das ist Kameradschaft, das ist Bergrettung!

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